Climate and energy
Antoine Frérot
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Antoine Frérot
Einleitung
Der Biologe und Schriftsteller Jean Rostand warnte uns bereits vor einem halben Jahrhundert: "l'homme est devenu trop puissant pour se permettre de jouer avec le mal. L'excès de sa force le condamne à la vertu" [1] (Der Mensch ist zu mächtig geworden, als dass er es sich leisten könnte, mit dem Übel zu spielen. Seine allzu große Macht verurteilt ihn zur Tugend.) Die Umwelt ist heute von vielen Übeln geplagt, und es kommt nicht von ungefähr, dass gerade unsere schnelllebige Gesellschaft die Begriffe "nachhaltige Entwicklung" und "grüne Wirtschaft" erfunden hat. Allzu oft haben sich die Menschen über die Grenzen des ökologischen Fortbestands hinausgewagt - davon zeugt das zerbrochene Idyll der Menschen mit dem Wasser.
Die Europäische Kommission hat 2012 zum "Europäischen Jahr des Wassers" ausgerufen. In der Tat ist die Wasserwirtschaft in Europa heute mit einer Reihe großer Herausforderungen konfrontiert. Drei davon möchte ich im Folgenden eingehender beleuchten:
• Wasser muss nachhaltig gemacht werden. Dabei geht es um eine adäquate Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie [2], zu deren Zielen die Wiederherstellung der Biodiversität und eines guten chemischen Zustands der Oberflächengewässer wie auch eines mengenmäßig und chemisch guten Zustands des Grundwassers zählen. • Der Wandel der Wasserdienstleistungen muss angemessen begleitet werden. Sie werden sich unter dem Einfluss der technischen Innovation, des Nutzerbedarfs und der dringenden Notwendigkeit eines verbesserten Umweltschutzes in den kommenden Jahren tiefgreifend verändern. Parallel dazu muss das Geschäftsmodell der Wasserdienstleistungen erneuert werden. • Das Recht auf Wasser und Abwasserentsorgung muss zu einem effektiven Recht für alle werden - in den Entwicklungsländern, aber auch in der Europäischen Union, wo die Wirtschafts- und Finanzkrise Millionen Menschen in existenzielle Not stürzt und mit dem Verlust dieser essentiellen Dienstleistungen bedroht.
I - Wasser nachhaltig machen
Die Europäische Umweltagentur teilte bereits 2010 [3] mit, dass die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie nicht vollständig erreicht werden würden. Die Ambitionen der Mitgliedstaaten für 2015 sind sehr unterschiedlich und beschränken sich zum Teil auf weniger als 50% Wasser in gutem Zustand. Die Kommission hat dies klar erkannt und mehrere Verstoßverfahren gegen Mitgliedstaaten eingeleitet. Darüber hinaus denkt sie über eine Änderung der Rechtsvorschriften nach, um das Handeln der Staaten insbesondere bei der mengenmäßigen Bewirtschaftung der Wasserressourcen besser zu lenken. Dies ist auch das zentrale Gegenstand der unlängst im "Blueprint to Safeguard Europe's Water Resources" (Aktionsplan zum besseren Schutz der Wasserressourcen in Europa) [4] von der Kommission gestarteten Konsultation.
Die Kommission ist sich darüber im Klaren, dass zur Erreichung greifbarer Ergebnisse die Verbreitung bereits verfügbarer Lösungen forciert werden muss; in gewissen Fällen - wie der Wiederverwendung von Abwasser - erfordert dies möglicherweise einen neuen europäischen Gesetzesrahmen.
Wasserressourcen schützen
Der Ressourcenschutz ist mit zuweilen äußerst schwer wiegenden finanziellen Entscheidungen verbunden. Laut Wasserrahmenrichtlinie sollen die Weichenstellungen daher in den Wassereinzugsgebieten [5] mit der Öffentlichkeit diskutiert werden. Die verschiedenen Stakeholder, u.a. Behörden und Fachkreise, haben der umso nützlicheren Regel Gestalt zu verleihen, dass Lösungen nur dann wirklich wirksam sind, wenn sie auf lange Sicht angewandt und politisch wie auch wirtschaftlich dauerhaft unterstützt werden. Wassermanagement ist eine wesensbedingt langfristig angelegte Tätigkeit.
Für den Schutz der Wasserressourcen müssen zwei "Baustellen" vorangetrieben werden:
• Vollständige Umsetzung der Richtlinie "Kommunales Abwasser". Diese Richtlinie hat eine massive und nützliche Investitionspolitik bewirkt. In Mitteleuropa ermöglichte die Bereitstellung europäischer Mittel die Finanzierung und den Bau von Kläranlagen für Ballungsräume wie Budapest und Warschau. Dem 6. Bericht [6] der Kommission vom 7. Dezember 2011 ist zu entnehmen, dass bei der Umsetzung der Richtlinie "Kommunales Abwasser" viele Fortschritte erzielt wurden. Dort, wo diese Richtlinie voll umgesetzt wurde, sind in punkto Umweltschutzes deutliche Verbesserungen erkennbar. Deshalb muss die Umsetzung unbedingt überall zu Ende geführt werden. Die Küstengebiete unterliegen hierbei besonderen Verpflichtungen: zu den klassischen Umweltauflagen kommen in diesem Fall weitere Verpflichtung aufgrund einer generell hohen Bevölkerungsdichte und im Zusammenhang mit dem Schutz von Bade- und Meeresgewässern hinzu, mit entsprechend strikteren Anforderungen hinsichtlich der Abwassererfassung und -behandlung und des Regenwassermanagements. • Verschmutzungsbekämpfung an der Quelle. Technisch am wirksamsten ist die Bekämpfung von Verschmutzungen vor ihrer Verdünnung in der Natur. Deshalb kommt es darauf an, möglichst nah an der Verschmutzungsquelle anzusetzen. Durch Kontrolle und Eindämmung von Verschmutzungen an der Quelle lassen sich die ökologischen Gleichgewichte, die Lebensqualität der umgebenden Bevölkerung und die gesundheitliche Unbedenklichkeit des Trinkwassers besser schützen. Die Qualität der Wasserressourcen wiederherzustellen ist sicherlich gut und richtig, noch besser ist es jedoch, sie erst gar nicht zu verschmutzen. Die Wirksamkeit der Maßnahmen an der Verschmutzungsquelle beruht dabei auf der Mitarbeit aller Interessengruppen und dem lokalen Einsatz geeigneter Technologien und Praktiken. Industrie und Landwirtschaft unterliegen einem Gefüge immer strengerer Auflagen und Regularien - was zum Beispiel der heiklen Frage nach den in der Gemeinsamen Agrarpolitik zu mobilisierenden Finanzierungen für die Anwendung dieser Vorschriften und für Begleitmaßnahmen zur Umstellung der Anbaupraktiken aufwirft. Derartige Veränderungen berühren die unabhängige Ernährungssicherung der Union wie auch ihrer Mitgliedstaaten und beinhalten somit große Herausforderungen für Europa.
Alternative Ressourcen verstärkt erschließen
Wesentliche Voraussetzung für nachhaltiges Wassermanagement ist die Korrektur der Ungleichgewichte zwischen den verfügbaren Ressourcen und der Wassernachfrage. Die auf der Erde vorhandene Wassermenge nimmt nicht ab. Im Gegensatz zu anderen Ressourcen wie den fossilen Kohlenwasserstoffen ist Wasser eine erneuerbare Ressource. Es bestehen jedoch lokale Ungleichgewichte mit negativen Auswirkungen auf die Umwelt, die Biodiversität der Ökosysteme und die Deckung des menschlichen Bedarfs. Dies gilt insbesondere in Gebieten mit hohem Urbanisierungsgrad, häufig an der Küste; beispielhaft dafür sind die Küstenregionen am Mittelmeer und an der Ostsee.
Diese Ungleichgewichte sind zu einem gewissen Teil behebbar durch eine Verringerung der - manchmal unerträglich hohen - Leitungsverluste in den öffentlichen Versorgungsnetzen und die Umstellung von einer Wasserangebotspolitik zu einer Politik des Nachfragemanagements. In Regionen mit ausgeprägten strukturellen Ungleichgewichten zwischen Ressourcenangebot und Wassernachfrage ist der Rückgriff auf alternative Ressourcen jedoch unerlässlich.
Meerwasser - eine mengenmäßig unbegrenzte alternative Ressource
Meerwasser ist die auf unserem Planeten in größter Fülle vorhandene Wasserressource. Dennoch wird weltweit nur ein verschwindend kleiner Anteil des Trinkwassers von nicht einmal 2% durch Meerwasserentsalzung gewonnen. Zum Vergleich: 40% der Bevölkerung leben in weniger als 70 km Entfernung vom Meer. Die Zahl der Entsalzungsanlagen wird jedoch ständig größer: 16.000 solche Anlagen sind bereits gebaut worden. Veolia ist in punkto installierte Leistung Weltmarktführer auf dem Gebiet der Meerwasserentsalzung. Die weltgrößte derzeit betriebene Umkehrosmose-Meerwasserentsalzungsanlage befindet sich in Ashkelon/Israel. Ihre Jahresproduktion deckt den Bedarf von 1,4 Millionen Einwohnern.
Die Meerwasserentsalzung per Umkehrosmose kommt zwar teurer als das Aufbereiten von Süßwasser, wird aber durch die zunehmend verbesserte Energieeffizienz, die Skalenerträge und den kontinuierlichen Preisrückgang der Membranen (der Preis hat sich innerhalb von 10 Jahren halbiert) mehr und mehr zu einer wirtschaftlich vertretbaren Lösung.
Küstenstädten bietet die Entsalzung eine wirksame Möglichkeit, der Wasserknappheit zu entkommen und die wachsende Nachfrage nach Wasser zu befriedigen - allerdings unter Einsatz großer Energiemengen. Aber: es wurden in dieser Hinsicht bereits enorme Fortschritte erzielt; der Energieverbrauch pro Kubikmeter entsalztem Wasser verringerte sich zwischen 1970 (20 kWh) und heute (mit den leistungsfähigsten Verfahren weniger als 3 kWh) bereits um den Faktor 7, weitere Fortschritte werden im laufenden Jahrzehnt erwartet. Bei der Entsorgung der anfallenden Salzlaken kann man durch geeignete Verdünnungs- und Diffusionstechniken und sorgsame Auswahl der Einleitungsorte eine chemische oder thermische Destabilisierung der Meeresökosysteme vermeiden.
Wiederverwendung von aufbereitetem Abwasser - eine Zukunftstechnik für Europa
In trockenen oder unter "Wasserstress" stehenden Gebieten stellen aufbereitete Abwässer die aussichtsreichste alternative Wasserressource dar, mit der sich große Wassermengen für den Einsatz in der Industrie, in der Landwirtschaft oder auch in der privaten Versorgung bereitstellen lassen. So hat Australien hat nach wiederholten Dürreperioden umfangreiche Abwasserrecycling-Kapazitäten errichtet, um Wasserversorgungssysteme aufzubauen, die weniger abhängig sind von sporadischen und unvorhersehbaren Niederschlägen.
Wenn die Ressource Wasser knapp wird, ist sie viel zu wertvoll, um vor der Rückgabe an die Natur nur ein einziges Mal genutzt zu werden. Abwasserrecycling bietet wirtschaftlich gesehen vielfältige Vorteile: das Recyclingwasser befindet sich dort, wo es gebraucht wird; es ist die einzige parallel zum Bedarf wachsende Ressource (sodass Nutzungskonflikte vermieden oder gedämpft werden können); und es ist billiger als die Aufbereitung von Meerwasser. In ökologischer Hinsicht lässt sich durch die Wiederverwendung von Abwasser die Inanspruchnahme knapper Süßwasserbestände vermeiden, die Produktivität des ursprünglich aus der Natur entnommenen Rohwassers wird durch mehrfaches Recycling erhöht, und die in fine an die Natur abgegebene Schadstoffbelastung verringert sich.
Recyclingwasser ist für sämtliche Zwecke verwendbar - auch für die Trinkwassergewinnung, wie dies in Singapur oder in Windhuk/Namibia der Fall ist. Vorrangig kommt aufbereitetes Abwasser allerdings zur Bewässerung von Anbau- oder Grünflächen und zur Brauchwasserproduktion für die Industrie zum Einsatz. Somit stellt sich die Frage nach den relevanten Hygienenormen, die natürlich je nach Verwendung des Wassers unterschiedlich sein müssen. Die GD Umwelt der Kommission schlägt angesichts des Fehlens spezieller Normen für die Wiederverwendung von Abwasser verschiedene Optionen vor, u.a. die Ausarbeitung einer europäischen Verordnung oder einer Richtlinie zur Festlegung von Normen für Recyclingwasser [7]. Diese Option sollte sich aus mehreren Gründen unbedingt durchsetzen:
• Erstens führt das Fehlen stabiler Texte auf europäischer Ebene dazu, dass vor Ort Genehmigungen auf Einzelfallbasis erteilt werden, sodass diese Technik nur begrenzt zu den Zielen der Wasserrahmenrichtlinie beiträgt [8]. • Nationale oder kommunale Behörden, die diese Technologie nutzen wollen, wären, wenn sie europäische Normen zur Hand hätten, eher in der Lage, die gesundheitliche Sicherheit der Verbraucher zu garantieren. Die potenziellen psychologischen Vorbehalte der betroffenen Bevölkerung sind nicht zu unterschätzen. • Ein europäischer Text würde Regelungen "mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten" innerhalb der Union vermeiden. Es steht den Mitgliedstaaten und den kommunalen Behörden zwar frei, auf die Wiederverwendung aufbereiteter Abwässer zurückzugreifen oder nicht, die angewandten Hygienevorschriften aber müssen für alle identisch sein.
II - Den Wandel der Wasserdienstleistungen vorbereiten und begleiten
Ein innovationsstarker Bereich - heute wie auch in Zukunft
Wasserdienstleistungen sind in keiner Weise "statisch" oder "festgefahren". Dieser Bereich braucht Innovationen, um dem menschlichen Bedarf und zugleich auch dem Schutz der Natur gerecht zu werden. Bester Beweis dafür sind die Fortschritte der letzten drei Jahrzehnte in der Meerwasserentsalzung. Die Wasserdienstleistungen werden künftig sogar immer innovativer werden - wie, das ist im Folgenden dargestellt.
Zunächst wird in Zukunft sehr viel mehr auf alternative Ressourcen - Recyclingwasser oder entsalztes Meerwasser - zurückgegriffen werden. Das "Wasser der Zukunft" wird also häufig "alternatives Wasser" sein.
Des Weiteren werden die Versorgungsnetze "intelligent" werden. Ihre "Intelligenz" beruht auf Messsonden, die mit den Menschen kommunizieren und ihnen helfen, ihren Wasserverbrauch in Echtzeit zu überwachen und somit unter Kontrolle zu halten. Veolia hat hierfür zusammen mit dem Telekombetreiber Orange die Firma "M2o city" gegründet. Das Gemeinschaftsunternehmen soll in Frankreich 5 Millionen intelligente Wasserzähler mit modernen Fernauslesesystemen (eine Kombination aus Funktechnik und Internet) installieren.
Die heute nur in Ausnahmefällen mögliche vollständige Rückverfolgbarkeit des Wassers in großen Versorgungsnetzen wird zunehmend banaler werden. Ständiges Überwachen der Wasserqualität in Leitungsnetzen mit Tausenden von Kilometern Länge ist ein ungemein schwieriges Unterfangen, da das Wasser in kontinuierlichem Strom unter der Erde in alle Richtungen fließt. Unsere Ingenieure haben in einem Teil des Wassernetzes von Shanghai eine innovative Lösung getestet. Beim Wasserzweckverband Syndicat des Eaux d'Ile-de-France, einem der größten Trinkwasserversorger Europas, der vier Millionen Einwohner in und um Paris bedient, wird sie jetzt im großen Maßstab eingeführt.
Innovation ist auch bei den Überwachungsindikatoren angesagt. Die Leistung der Wasserdienstleistungen wird mit neuen Tools zur Ermittlung des ökologischen Fußabdrucks beurteilt werden. Zusätzlich zum "Wasserfußabdruck", der nur die absolute Wassermenge misst, hat Veolia den neuen Water Impact Index (WiiX) entwickelt. Der WiiX misst die relativen Auswirkungen im Verhältnis zur lokalen Verfügbarkeit der Ressource einschließlich qualitativer Aspekte. Er berücksichtigt drei wesentliche Gesichtspunkte: die verbrauchte Wassermenge, den Beanspruchungsgrad der Wasserressourcen und die globale Wasserqualität.
Wenn die europäischen Institutionen Umweltschutzziele vereinbaren oder bereits vereinbart haben, deren Anwendung von den kommunalen Behörden ihren jeweiligen Sachzwängen gemäß moduliert werden darf, bedürfen derartige Ziele der gleichzeitigen Erarbeitung sachdienlicher Indikatoren. Dabei muss eine Balance gefunden werden zwischen der Präzision der Indikatoren, sodass sie in den Augen der Experten zuverlässig sind, und Verständlichkeit für das breite Publikum. Daher müssen diese Indikatoren und die damit verbundenen Grenzwerte, nach denen alle Stakeholder künftig die erzielten Fortschritte beurteilen, politischen Erwägungen unterliegen.
Last but not least werden die Wasserdienstleistungen in Zukunft immer mehr mit anderen kommunalen Leistungen verzahnt sein. Die Tätigkeitssegmente Wasser, Energie und Abfallwirtschaft werden nicht mehr voneinander abgeschottet, sondern eng miteinander verbunden sein. Es vollzieht sich bereits heute eine zunehmende Konvergenz zwischen den verschiedenen Umweltdienstleistungen. Die Kläranlagen von morgen etwa werden echte Bioraffinerien sein: sie werden sauberes Wasser produzieren, Energie freisetzen statt Energie zu verbrauchen und aus dem im Klärschlamm enthaltenen organischen Material Biodünger und Biokunststoffe herstellen. Die Umwandlung dieses organischen Materials zu Produkten, die in der Kunststoffverarbeitung einen Marktwert erzielen, ist Sinn und Zweck eines Veolia-Experiments in der Kläranlage Brüssel-Nord [9] - eine Weltpremiere!
Das Geschäftsmodell der Wasserdienstleistungen erneuern
Parallel zur Einführung dieser technischen Neuerungen sind ökonomische Innovationen erforderlich, um das Geschäftsmodell und den Finanzierungsmodus der Wasserdienstleistungen zu modernisieren. Traditionell erfolgt die Vergütung dieses Dienstes vollständig oder weitgehend über den Wasserverkauf - ein Merkmal, das sich durch die bei dessen Einführung im 19. Jahrhundert vorherrschenden Hygienebestrebungen erklären lässt. Das Gemeinwohl gebot damals die Erhöhung des privaten Wasserverbrauchs, um die Hygiene in den Haushalten zu verbessern und auch um Netzerweiterungen finanzieren zu können. Heute ist dieses Geschäftsmodell jedoch mit drei enormen Schwierigkeiten konfrontiert:
• Die erste Schwierigkeit resultiert zum einen aus den erhöhten Kosten der Wasserdienstleister - eine Folge der verschärften Normen und der ihnen übertragenen Zusatzaufgaben (Regenwasseraufbereitung, Wegeverbesserung, Gewässerpflege, dezentrale Zusammenarbeit usw.), zum anderen aus der regelmäßigen Verringerung des Wasserbrauchs und somit auch der Fakturierungsgrundlage. Hinzu kommt die hohe Fixkostenintensität dieses Tätigkeitsbereichs: 80% der Kosten sind konstant, 80% der Einnahmen dagegen variabel! Langfristig untergräbt dieser Schereneffekt zwischen wachsenden Kosten und sinkenden Einnahmen das finanzielle Gleichgewicht der Wasserdienstleister, unabhängig von deren Betriebsform (öffentlich oder privatwirtschaftlich). • Die zweite Schwierigkeit hängt mit dem Risiko eines Zerfalls der öffentlichen Wasserver- und Abwasserentsorgung zusammen. Manche Lösungen erscheinen auf den ersten Blick attraktiv, bewirken aber de facto eine Schwächung der Solidarität. Dies ist der Fall, wenn ein Verbraucher beschließt, sich aus dem öffentlichen Versorgungsnetz auszuklinken, um nur noch das zu verbrauchen, was er selbst produziert oder recycelt. Unternimmt z.B. ein industrieller Großverbraucher oder ein Ökoquartier einen solchen Schritt und vollzieht die Trennung vom öffentlichen Netz, verringern sich dadurch die finanziellen Ressourcen, über die das kollektive Netz verfügt. Deshalb ist es unerlässlich, die Integrität der Wasserver- und Abwasserentsorgung zu schützen: wir müssen darauf achten, dass solche "individuellen" Lösungen nicht zum Wegbereiter für den allmählichen Zerfall dieser beiden Dienste werden und so deren Existenz gefährden. • Die dritte Schwierigkeit liegt in der Verknappung der Wasserressourcen. Sie steht frontal in Konflikt mit der den Wasserdienstleistungen ursprünglich zugrunde gelegten wirtschaftlichen Logik, welche die Betreiber - egal ob öffentlich oder privat - dazu veranlasst, möglichst viel Wasser zu verkaufen. Um die Umweltbelange mit der Finanzierung der Wasserdienstleistungen vereinbar zu machen, sollten diese künftig im Sinne der Erhaltung der Wasserressourcen vergütet werden, ohne die erzielten volksgesundheitlichen Fortschritte in Frage zu stellen.
Was ist also zu tun? Es liegen drei wesentliche Reformwege vor uns:
• Die Entwicklung eines Finanzierungsmodus, der nicht ausschließlich bei den Nutzern, sondern bei den Nutzern und bei den Steuerzahlern ansetzt. Der Nutzer sollte für die Bestandteile aufkommen, die wirklich mit der Trinkwasserversorgung und der Abwasserentsorgung zusammenhängen. Die allen Gebietsbewohnern zugutekommenden übrigen Aufgaben sind dagegen vom Steuerzahler zu finanzieren. Die Wasserdienstleistungen würden sich also in Richtung einer Mischfinanzierung Nutzer - Steuerzahler entwickeln. • Die Einrichtung eines teilweise an die Leistung des Betreibers gebundenen Vergütungssystems. Die Betreibervergütung basiert in diesem Fall auf zwei Faktoren: den verkauften Wassermengen und der erreichten Leistung, gemessen anhand verschiedener Indikatoren für Wasserqualität, Umweltschutz, Infrastrukturmanagement usw. Für jeden Indikator wird ein Zielwert festgelegt, zum Beispiel: Erreichen von mindestens 99,9% Konformität mit den behördlichen Qualitätsauflagen oder mindestens 80% Kundenzufriedenheit. Ein solches System bietet Wasserdienstleistern einen Anreiz zur Leistungsverbesserung. Wenn ein Betreiber seine Einnahmen steigern möchte, ist es bei diesem Ansatz wichtiger für ihn, die festgelegten Qualitätsziele zu erreichen als mehr Kubikmeter zu verkaufen. • Abkopplung der verkauften Wassermengen von den aus der Natur entnommenen Wassermengen durch Abwasserrecycling. Bei diesem Verfahren ist die Betreibervergütung zwar proportional zu den fakturierten Wassermengen, letztere - und das ist der springende Punkt - sind aber unabhängig von den aus Gewässern und Grundwasser entnommenen Volumina. Somit entfällt der Widerspruch zwischen dem geschäftlichen Gebot "Mehr verkaufen" und dem ökologischen Gebot "Erhaltung der natürlichen Ressourcen".
III - Das Recht auf Wasser/Abwasserentsorgung zum effektiven Recht für alle machen
2015 ist in zweierlei Hinsicht ein sehr wichtiges Jahr im Wasserbereich:
• Für uns Europäer markiert 2015 das Ende der ersten von der EU gewährten Frist für die qualitative Verbesserung der Wasserressourcen und deren Überführung in einen "guten Zustand". • Für die gesamte internationale Gemeinschaft ist 2015 ein noch wichtigeres Jahr, nämlich das von den Vereinten Nationen vorgeschriebene Stichdatum für die Verwirklichung der Millenniumsziele und die Reduzierung der Armut in der Welt. Im Wasserbereich soll der Anteil der Menschen ohne Zugang zu Trinkwasser und sanitärer Grundversorgung bis 2015 halbiert werden.
Diese Millenniumsziele betreffen in erster Linie die Entwicklungsländer. Doch in den entwickelten Ländern, auch in Europa, greift existenzielle Not um sich; es müssen Lösungen gefunden werden, um den Zugang zum Wasser für bereits an Netz angeschlossene arme Menschen zu erhalten. Der Zugang zum Wasser und zu sanitären Anlagen ist also auch für die Europäische Union eine wichtige Herausforderung, auch wenn sich diese anders äußert als in den Entwicklungsländern. Die Union muss zwei Hauptzielsetzungen verfolgen:
• Aufrechterhalten ihres Beitrags zur Verwirklichung des Zugangs zum Wasser und zu sanitären Anlagen weltweit, insbesondere im Rahmen der Entwicklungshilfepolitik der EU. Noch immer haben fast 800 Millionen Menschen keinen Zugang zu Trinkwasser, 2,5 Milliarden haben keine sanitäre Grundversorgung [10]. • Innerhalb der Europäischen Union Gewährleisten eines effektiven Rechts auf den Zugang zu Wasser für bisher nicht über dieses Recht verfügende Bevölkerungsgruppen, z.B. Obdachlose, und Sicherung dieses Rechts für die Opfer der Wirtschaftskrise.
Laut OECD darf die Wasserrechnung nicht mehr als 3% des Einkommens betragen, damit dieser Dienst für alle zugänglich ist. In Frankreich machen die Wasserkosten im Schnitt 0,8% des Haushaltseinkommens aus. Dies ist zwar deutlich weniger als die OECD-Empfehlung, aber viele Menschen befinden sich aufgrund der Wirtschaftskrise oberhalb der genannten Schwelle. In den meisten Ländern Europas herrschen ähnliche Gegebenheiten. Öffentliche Hand und Betreiber bemühen sich daher um den Ausbau bzw. die Einführung von Lösungen zur Erhaltung des Zugangs zur Wasserversorgung für Menschen, die diesen bereits haben, aber wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten zu verlieren drohen. So hat Veolia sich entschlossen, im Vertrag mit dem Wasserzweckverband Syndicat des Eaux d'Ile-de-France 1% der Einnahmen für die Solidarität aufzuwenden; damit werden u.a. individuelle "Wasserschecks" zur Unterstützung besonders Bedürftiger finanziert.
Für den Zeitraum 2007-2013 hat die EU 14 Milliarden € an Strukturfondsgeldern [11] für den Bereich Wasserver- und Abwasserentsorgung bereitgestellt. Doch auch heute noch erfordert der Zugang zum Wasser und zur Abwasserentsorgung in vielen Mitgliedstaaten hohe Investitionen, die die Gewährung öffentlicher Subventionen rechtfertigen: die Betriebs- und Investitionskosten der Wasserver- und Abwasserentsorgung können dort nicht vollständig von den Nutzern getragen werden. Deshalb sind und bleiben die Strukturfonds unerlässlich, um allen Bürgern Europas den Zugang zu wesentlichen Diensten der öffentlichen Daseinsvorsorge zu garantieren - ein Beitrag zum sozialen Zusammenhalt in Europa.
***
Die Herausforderungen, mit denen die Europäische Union konfrontiert ist, machen indirekt deutlich, dass der Wasserbereich ein großes "System auf Gegenseitigkeit" darstellt. Bei der Wassernutzung besteht Interdependenz zwischen allen Bewohnern eines Einzugsgebiets - im Guten wie im Schlechten. Diese unzähligen Systeme auf Gegenseitigkeit in Europa und anderswo müssen sorgsam verwaltet werden, um das abzuwenden, was manche als "Erschöpfung der Natur" bezeichnet haben. Der Mensch mag der größte Feind des Wassers sein; wenn er es möchte und sich entschlossen die erforderlichen Mittel an die Hand gibt, ist er auch der größte Freund des Wassers.
[1] Jean Rostand, Inquiétudes d'un biologiste, Paris, Stock, 1967
[2] Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik, Kurzbezeichnung WRRL
[3] State of the Environment Report 2010
[4] A "Blueprint to Safeguard Europe's Water Resources Consultation Document", European Commission, Directorate-General Environment
[5] Auch bezeichnet als "Flussgebietseinheiten"
[6] http://ec.europa.eu/environment/water/water-urbanwaste/implementation/pdf/SEC_2011_1561_F_EN.pdf
[7] A "Blueprint to Safeguard Europe's Water Resources Consultation Document", European Commission, Directorate-General Environment, S. 8 und 10. Zu den beiden anderen Optionen: Entwicklung von Orientierungen der EU zum Zertifizierungssystem für die Wiederverwendung von Wasser und Annahme von Normen für die Wiederverwendung aufbereiteter Abwässer in der Landwirtschaft durch die europäische Normungsorganisation CEN (Comité Européen de Normalisation).
[8] Arrêté du 2 août 2010 relatif à l'utilisation d'eaux issues du traitement d'épuration des eaux résiduaires urbaines pour l'irrigation des cultures ou d'espaces verts (französischer Erlass vom 2. August 2010 über die Verwendung geklärter kommunaler Abwässer zur Bewässerung von Anbau- oder Grünflächen)
[9] L'Union européenne et le défi de l'économie verte, quels modèles pour une meilleure efficacité dans l'utilisation des ressources ?, Antoine Frérot, Question d'Europe, Nr.206, 23. mai 2011
[10] "Progress on Drinking Water and Sanitation-2012 update", Unicef and World Health Organization 2012
[11] http://ec.europa.eu/environment/water/water-urbanwaste/implementation/pdf/SEC_2011_1561_F_EN.pdf
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