Die Rolle von Umweltdienstleistungen im Zeichen der Ökowende in Europa

Climate and energy

Antoine Frérot,  

Inga Groth

-

16. September 2013
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Frérot Antoine

Antoine Frérot

Chairman and CEO of Veolia.

Groth Inga

Inga Groth

Die Rolle von Umweltdienstleistungen im Zeichen der Ökowende in Europa

PDF | 264 koAuf Deutsch

"Wir erben die Erde nicht von unseren Vorfahren, wir leihen sie von unseren Kindern" [1]. Dieser Appell, an die uns nachfolgenden Generationen zu denken, fordert uns auf, das heute durch umweltbelastende menschliche Aktivitäten vielfach bedrohte und anfälliger gewordene Naturkapital unseres Planeten Erde (Luft, Wasser, Boden, Fauna und Flora) zu wahren. Wenn wir für unsere Kinder vorsorgen wollen, brauchen wir eine Ökowende, eine Positivspirale, die die Umwelt nachhaltig schont und zugleich das produzierende Gewerbe in Europa stärkt. Die Ansätze für eine solche Wende sind eine wahre Gratwanderung zwischen völlig gegensätzlichen Auffassungen. Während die einen die Ansicht vertreten, unausgelotete Umweltziele mindern die Wettbewerbsfähigkeit und legen über kurz oder lang ganze Wirtschaftszweige lahm, wird die Wirtschaft nach Meinung anderer durch die unkontrollierte Inanspruchnahme von Wasser, Rohstoffen und Energie sowie den mit der Natur betriebenen Raubbau nach und nach zum Erliegen gebracht.

 

Als Anbieter von Umweltdienstleistungen sieht Veolia konkrete Ansätze, um in dieser Frage voranzukommen und das Tauziehen zwischen zuweilen gegensätzlichen kurz- und langfristigen Zielen zukunftsorientiert zu entscheiden. Veolia, ein Unternehmen französischen Ursprungs mit weltweiter Dimension und offensichtlich europäisch, hat beschlossen, den Fokus auf drei große Herausforderungen zu richten, die sich im Zusammenhang mit der Ökowende stellen, die sowohl vom öffentlichen als auch vom privaten Sektor anzugehen sind und Innovation sowie neue Wirtschaftsmodelle erfordern. Wie gut diese Lösungen sind und wie wirksam sie umgesetzt werden, wird auch davon abhängen, wie sehr sich die öffentliche Hand dafür stark macht.

 

Unmittelbare Herausforderungen im Hinblick auf die Ökowende

 

In Anbetracht der Entwicklungen der letzten Jahrzehnte, die bei Produktionsmethoden, Konsum- und Lebensgewohnheiten in Europa festzustellen sind, ist es uns ein Anliegen, den Schwerpunkt unserer Bemühungen auf die Behandlung der problematischsten Umweltbelastungen, auf Lösungen angesichts der Verknappung natürlicher Ressourcen sowie auf miteinander verflochtene städtische Ver- und Entsorgungsleistungen zu setzen.

 

Behandlung der problematischsten Schadstoffe

 

Im produzierenden Gewerbe fallen Schadstoffe und gefährliche Abfälle an, die nicht in die Natur gelangen und sich verteilen dürfen, sondern konzentriert und gesammelt werden müssen, um sie fachgerecht zu entsorgen bzw. zu verwerten. Für ordnungsgemäßes Abfallmanagement gibt es in der Europäischen Union gemeinsame Regeln und Kontrollen. Allerdings sind aufgrund verschärfter Vorschriften auch für vorhandene Abfälle neue Behandlungsmethoden und neue Technologien erforderlich.

 

Nach einem Dammbruch ergossen sich im Oktober 2010 zwei Millionen Kubikmeter ätzender Rotschlamm aus dem Auffangbecken des Tonerdewerks Ajka (Ungarn) in die unterhalb gelegenen Dörfer und die nahe liegende Donau. Ein menschliches und ökologisches Desaster mit neun Toten, hundertzwanzig Verletzten und beträchtlichen Schäden an der Fauna und Flora der Region. Rotschlämme sind Rückstände aus der Bauxitgewinnung und ein erhebliches Umweltproblem für die Aluminiumindustrie. 2012 schloss Veolia eine Exklusivvereinbarung mit einem kanadischen Unternehmen, das grüne Technologien [2] entwickelt hat, die als einzige in der Lage sind, diese Schlämme aufzubereiten und sie in Wertstoffe und feste Inertstoffe umzuwandeln. Es gibt also jetzt ein Verfahren zur Wiedergewinnung der in den hochgiftigen Schlämmen enthaltenen Tonerden, seltenen Metallen und seltenen Erden! Dieses neuartige Verfahren ist eine effiziente Lösung, um dieses ernste Umweltproblem in industriellem Maßstab anzugehen. Denn weltweit haben sich 3 Milliarden Tonnen unbehandelter Rotschlamm angesammelt, zu denen jährlich weitere 100 Millionen Tonnen hinzukommen.

 

Darüber hinaus tauchen im Laufe der Zeit neue Schadstoffe auf, wie Arzneimittelrückstände und endokrine Disruptoren. Zahlreiche Forschungsarbeiten befassen sich bereits mit der Verbesserung einschlägiger Nachweis- und Analysemethoden zur Untersuchung von unbehandeltem und geklärtem Abwasser, Grundwasser und Oberflächengewässern. Weitere Abfälle, die nicht unbehandelt bleiben dürfen, sind kontaminierte Stoffe aus dem Rückbau von Kernkraftwerken. Weltweit müssen in den nächsten 20 - 30 Jahren 300 Atommeiler zurückgebaut werden, davon drei Viertel in Europa. Veolia hat daher 2013 mit dem Commissariat à l'Energie Atomique et aux Energies Alternatives eine Vereinbarung für den Rückbau ausgedienter Kernreaktoren geschlossen.

 

Vorbeugen und Haushalten mit knappen Ressourcen

 

Europa ist arm an natürlichen Ressourcen. Die Einfuhren übersteigen heute die Ausfuhren um das Siebenfache. Natürlich ist Europa auch der Kontinent, auf dem die Industrierevolution vor mehr als 200 Jahren ihren Anfang genommen und ein intensiver Abbau von Rohstoffen eingesetzt hat. 2011 hat die Europäische Union eine Roadmap über die effiziente Verwendung von Ressourcen erstellt. Auf Initiative des EU-Umweltkommissars Potocnik schuf die Europäische Kommission 2012 die von zahlreichen Akteuren mitgetragene Plattform EREP[3], um dafür konkrete Empfehlungen zu erarbeiten. Aber nicht nur in Europa, in der ganzen Welt verknappen sich die natürlichen Ressourcen: mehrere Erze werden absehbarer Zeit knapp, die Vorräte an fossiler Energie gehen zur Neige, die Süßwasserreserven schwinden. Um diese knappen Ressourcen zu schonen und damit hauszuhalten, muss die Wirtschaft alles daran setzen, ihren Fußabdruck in dreifacher Hinsicht zu verringern, d. h. CO2-, rohstoff- und wasserarm zu arbeiten.

 

CO2-arm heißt, sich nach und nach von Erdöl, Erdgas und Kohle zu verabschieden und den damit einhergehenden CO2-Ausstoß drastisch zu reduzieren! Wie lässt sich dennoch der hohe Energiebedarf in Europa und weiter steigende Bedarf weltweit decken? Zunächst durch Energieeinsparungen. Dann - da fossile Energien zurzeit noch unverzichtbar sind - durch eine erhebliche Steigerung der Anlageneffizienz durch Kraft-Wärme-Kopplung. Und schließlich durch den Einsatz regenerativer Energien: z.B. Fernwärme mit Biomasse anstelle von Kohle. In Polen hat unsere Tochter Dalkia mit Investitionen in den Fernheizwerken Lódz und Poznan die Befeuerung an neue Brennstoffe angepasst. Ein nicht unerheblicher Teil der Fernwärme in diesen beiden Städten stammt heute aus Biomasse forst- und agrarwirtschaftlichen Ursprungs.

 

Rohstoffarm heißt Entkopplung von BIP-Wachstum und Rohstoffverbrauch. Konkretisieren lässt sich dieses Ziel durch die Umwandlung von Abfällen in Sekundärrohstoffe und die Einrichtung einer Kreislaufwirtschaft. Den Anfang haben Europa und alle anderen Kontinente bereits mit dem einfachsten Weg gemacht, dem Recycling von Papier, Karton und Schrott. Diesbezüglich noch weiter zu gehen, setzt technologische Fortschritte voraus, damit die Recyclingstoffe allen erforderlichen Qualitäts-, Unbedenklichkeits- und Wirtschaftlichkeits­kriterien genügen. Das gilt zum Beispiel auch für die Aufbereitung von Katalysatoren und gebrauchter Aktivkohle und die Rückgewinnung des darin enthaltenen Quecksilbers[4] , dem dieses Altmaterial die Einstufung als Gefahrstoff zu verdanken hat. Es ist einer der Geschäftsbereiche von Batrec, einer Veolia-Tochter, die dafür die Erfahrung aus dem Batterien-Recycling nutzt.

 

Ein Beispiel für Kreislaufwirtschaft sind Klärschlämme, die lange Zeit als wertlos galten, tatsächlich aber Rohstoffe und Energieträger sind. Im Digester wird aus den darin enthaltenen organischen Stoffen Biogas erzeugt, das wiederum in Wärme und Strom umgewandelt wird. Zugleich sind sie ein ausgezeichneter Phosphor-Lieferant, ein für die Landwirtschaft unerlässlicher Stoff, dessen Vorkommen in der Natur noch bis Ende des Jahrhunderts zur Neige zu gehen droht. Grund genug, um dafür eine systematische Recyclingaktivität aufzubauen.

 

Wasserarm, um die Entnahme aus Grundwasser und Oberflächengewässern zu drosseln. Wasser ist zwar eine erneuerbare Ressource, aber sehr ungleich verteilt. Auch hier gibt es eine zunehmend akute Verknappungsproblematik. Die Ursachen dafür sind die steigende Grundwasserentnahme, Verstädterung und Klimaerwärmung, auch in europäischen Landstrichen, die bisher kaum davon betroffen waren, wie England und einige deutsche Bundesländer. Um diesem Problem zu begegnen, können mehrere Lösungen ins Auge gefasst werden, wie die Reduzierung der Leckrate in den öffentlichen Wasserleitungsnetzen, die Grundwasseranreicherung und vor allem die Wiederverwendung von behandeltem Abwasser. Diese Technologie findet heute in Europa noch kaum Verwendung, öffnet jedoch den Weg zu einer Alternativressource, die dort, wo man sie braucht, in großer Menge verfügbar ist.

 

Optimierung komplexer städtischer Ver- und Entsorgungsleistungen

 

Viele europäische Städte haben es sich zum Ziel gesetzt, intelligente Städte - "smart cities" - zu werden. Neue Technologien werden die städtischen Dienste tiefgreifend verändern. Durch hochleistungsfähige Systeme zur Erfassung und Verarbeitung kolossaler Datenmengen – big data – über den Energie- und Wasserverbrauch, den Verkehr, das Freizeitverhalten, das Abfallaufkommen usw. werden neue lokale Dienstleistungen mit prägendem Einfluss auf die Verhaltensweisen der Bürger entstehen: Warnsysteme bei zu hohem Stromverbrauch, Berechnung des jeweiligen CO2-Ausstoßes....

 

2011 hat Veolia zusammen mit Orange ein Joint-Venture namens m2ocity gegründet, um 5 Millionen "intelligente Zähler" für Wasser, Gas und andere Medien zu installieren und zu überwachen. Mit diesen neuartigen Zählern lässt sich der Verbrauch von Gebäuden und Haushalten optimal steuern. Dank individueller Echtzeitverbrauchsdaten ist es damit überdies ein Leichtes, Sozial- und Ökotarife vorzusehen.

lnnovation und Einführung neuer Wirtschaftsmodelle als Antwort auf diese Herausforderungen

 

Keine Ökowende ohne Innovation

 

Umweltdienste werden künftig stärker gebündelt sein, nicht wie heute, wo die Energieversorgung, die Abfallwirtschaft sowie die Wasserver- und entsorgung in den Städten häufig noch getrennte Wege gehen. Es wird immer mehr Querverbindungen geben. Diese Konvergenz zeigt sich allein schon am Beispiel Abfälle, die verstromt bzw. in Brennstoff und Kompost umgewandelt werden. Dasselbe trifft auf Abwasser in Kläranlagen zu: es dient als Quelle für organische Stoffe, aus denen sich Biokunststoffe herstellen lassen, wie mithilfe des weltweit einzigen Prototypen dieser Art in der für über eine Million Einwohner dienenden Kläranlage Brüssel Nord. Nach erfolgreichem Abschluss der Pilotphase gilt es nun, die wirtschaftlichen Bedingungen für eine Nutzung in industriellem Maßstab zu prüfen.

 

Die Notwendigkeit neuer wirtschaftlicher Modelle

 

Das Gebot der Vergangenheit im Interesse der Allgemeinheit war die Ausweitung der Wasser- und Energieversorgung, um für den Schutz der Gesundheit und mehr Komfort zu sorgen. Heute heißt das Gebot der Stunde, Ressourcen zu sparen. Das stößt natürlich auch die wirtschaftliche Logik um, die damals etabliert wurde und sich bis heute nicht geändert hat. Das Prinzip in der Wasser- und Energieversorgung sollte nicht länger darin bestehen, mehr, sondern weniger verkaufen zu wollen. Vergütet werden diese Dienste jedoch weiterhin nach der verkauften Menge!

 

Dazu bedarf es neuer Geschäftsmodelle, wie zum Beispiel eine leistungs- und keine volumenbasierte Vergütung. Ein Betreiber hätte bei einem solchen Modell kein Interesse mehr daran, mehr Kilowattstunden oder Kubikmeter Wasser zu verkaufen, sondern die von der öffentlichen Hand festgelegten Ziele zu erreichen. In gewissen Fällen wäre ein Übergang von einer Mengenwirtschaft zu einer Mengeneinsparwirtschaft mit einer Vergütung auf Basis der eingesparten Ressourcen denkbar, in anderen eine Entkopplung zwischen verkaufter und der Natur entnommener Menge durch Stoff- und Abwasserrecycling.

 

Die Notwendigkeit eines neuen territorialen Ansatzes

 

Umweltdienste bieten Städten Standortvorteile und tragen zur Attraktivität Europas bei. Hochwertige Standortfaktoren sind vor allem Leistungen der Daseinsvorsorge, d.h. alles, was das Leben der Bürger erleichtert und die Wirtschaft fördert. In Val d'Europe in der Nähe von Disneyland Paris nutzen wir die bisher verpuffte Abwärme des Rechenzentrums einer Bank, um CO2-frei ein Fernwärmenetz für 600.000 m2 Büros, Hotels und Wohnungen zu betreiben. Im Pariser Geschäftsviertel La Défense haben wir vor kurzem die erste Plattform für integriertes Energiemanagement eingerichtet, mit der 1100 Anlagen energieeffizient überwacht werden. Prinzip dabei ist für eine bestimmte territoriale Einheit ein enges Zusammenspiel zwischen elektronischer und menschlicher Überwachung zur Erzielung von Energieeinsparungen.

Die zentrale Rolle der öffentlichen Hand zur Herbeiführung der Ökowende

 

Die europäischen Institutionen sowie die einzelnen Mitgliedstaaten und Gebietskörperschaften können an mehreren Hebeln ansetzen, damit die Wirtschaft grüner, resssourcensparender und sauberer wird. Gerade in ihrer Rolle als Strategen, Regulatoren, öffentliche Auftraggeber und Impulsgeber bei der Bereitstellung von Langzeitfinanzierungen können sie einiges bewirken.

 

Die Festlegung ehrgeiziger strategischer Ziele

 

Hauptaufgabe der öffentlichen Hand ist es, einen klaren, glaubwürdigen Kurs festzulegen. Das ist mit den drei großen Zielen des Energie- und Klimapakets der Europäischen Union ("3 x 20") bereits geschehen: Reduzierung der CO2-Emissionen, Ausbau der erneuerbaren Energien und Steigerung der Energieeffizienz. Dieses Paket hat in Sachen Umweltmanagement bereits zu großen Fortschritten geführt. Die Zielvorgaben sollten jedoch auch ganz spezifisch bestimmte Energien mit einem günstigen Kosten-Nutzen-Verhältnis anvisieren. Das gilt zum Beispiel für die Raumwärme, die im EU-Recht im Vergleich zum Stromverbrauch häufig unter den Tisch fällt, obgleich Gebäude als Hauptenergieverbraucher einen doppelt so hohen Raumwärme- wie Strombedarf haben.

 

Laut Energieeffizienzrichtlinie[5] sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, eine Langzeitstrategie zur Renovierung öffentlicher und privater Gebäude zu erstellen; für Gebäude im Eigentum der Zentralregierungen ist eine jährliche Sanierungsrate von 3% vorgeschrieben. Als ein von der Richtlinie empfohlenes Instrument dürfte die Umsetzung zu einer starken öffentlichen Mobilisierung zugunsten von Energieleistungsverträgen führen. Diese Verträge müssen mit einer messbaren, von privaten Partnern garantierten Energieperformance verbunden sein. Es lassen sich damit ambitionierte, angemessene Energieeinsparungsziele erreichen, wobei sich die dafür erforderlichen Investitionen in weniger als zehn Jahren zu rechnen beginnen. Zur Senkung des Energieverbrauchs von ca. 100 kommunalen Gebäuden hat die französische Stadt Montluçon mit unserer Tochter Dalkia einen Energieleistungsvertrag mit 10 Jahren Laufzeit geschlossen. Die getroffenen Maßnahmen reichen von der Optimierung der Heizungsanlagen über die Nutzung erneuerbarer Energien bis zur Installation einer Gebäudeleittechnik. Innerhalb von drei Jahren konnte der Energieverbrauch gegenüber dem Ausgangsniveau bereits um 21,5% gesenkt werden. Ein ähnliches Energieperformance­contracting wurde auch in anderen europäischen Ländern, wie in der Slowakei und in Schweden (in der Stadt Hörby), eingerichtet.

 

Generell gesagt, braucht die Europäische Union, wo Wärme und Kälte 46% des Energieverbrauchs ausmachen, eine Roadmap für Wärme. Derzeit gibt es kein gesondertes Ziel für den Ausbau von Fernwärme, obgleich deren Effizienz ungleich höher ist als bei individuellen Heizungen und in Europa in puncto Leitungsnetze ein hohes Ausbau- und Optimierungspotenzial besteht.

 

Bezüglich erneuerbarer Energien ist sicherzustellen, dass nicht unterbrechungsfrei arbeitende Produktionsformen (Windkraft und Sonne) durch flexibel einsetzbare und im Hinblick auf die öffentlichen Finanzen zu den effizientesten zählenden Formen ergänzt werden: Biomasse mit einer lokalen arbeitsplatzschaffenden Wirtschaftstätigkeit im Gefolge, Geothermie sowie die energetische Verwertung von Abfällen, deren Potenzial noch nicht ausreichend genutzt wird[6].

 

Gut konzipierte Ziele müssen auch dazu beitragen, die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft zu verbessern. Mit realistischen Konzepten lassen sich Wirtschaftszweige strukturieren, Standortvorteile ausbauen und Kompetenzen und Infrastrukturen entwickeln, die für Europa zu künftigen Wachstumsfaktoren zählen könnten. Im Bereich Abfallwirtschaft wäre es wesentlich, dass der europäische Gesetzgeber Recycling- und Verwertungsziele für prioritäre Stoffkreisläufe bzw. Abfallströme, wie Elektronikschrott oder Batterien von Elektrofahrzeugen, festlegt.

 

Festlegung von Regeln und Vorschriften zur Beschleunigung der Ökowende

 

Zur Begleitung des Wandels im Bereich Umweltdienstleistungen sind neue Regelwerke erforderlich. Zwar können Regeln und Vorschriften für die Wirtschaft einen zuweilen allzu starken, nicht immer nutzbringenden Zwang bedeuten, so dienen sie auch dazu, die Innovation zu fördern und Europa im Vergleich zur internationalen Konkurrenz zur Referenz in bestimmten Bereichen zu machen. Desgleichen bieten Regelwerke allen Beteiligten die Gewähr, dass für neue Praktiken, die ökologische und gesundheitliche Risiken nach sich ziehen können, der dafür erforderliche Rahmen abgesteckt wird.

 

Ein Beispiel dafür sind Schiefer- und Steinkohlengase, deren etwaige Exploration und Gewinnung auf dem europäischen Kontinent eine heftige Diskussion in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union ausgelöst hat. Wie Kommissar Potocnik diesbezüglich erklärte[7], ist - da Techniken und Verfahren zur Vorbeugung, Begrenzung und Steuerung von Risiken verfügbar sind - dafür Sorge zu tragen, dass diese Praktiken tatsächlich zur Anwendung kommen und ein gesetzlicher Rahmen den Schutz der Umwelt und Gesundheit wirksam sicherstellt. Ein weiteres Beispiel für einen unabdingbaren Ordnungsrahmen ist die Wiederverwendung von behandeltem Abwasser, ein ökologisch vielversprechender Weg, der jedoch ohne europäische Richtlinie und gemeinsame EU-Normen nicht allgemein gangbar ist. Solche Regelwerke, die die Kommission im Rahmen ihres "Blueprint für den Schutz der europäischen Wasserressourcen" [8] festlegen will, sollten vorschreiben, welche Qualitätskriterien für welchen Verwendungszweck, angefangen beim Hauptwasserverbraucher auf dem Kontinent, der landwirtschaftlichen Bewässerung, einzuhalten sind.

 

Förderung eines auf das gesellschaftliche Wohl bedachten öffentlichen Beschaffungswesens

 

Bei öffentlichen Ausschreibungen in Europa sollte es einfacher und selbstverständlicher werden, sich für das "ökologisch beste Angebot" entscheiden zu können. Bei jedem geplanten Projekt für Umweltdienste ist eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen, die allen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aspekten der bestehenden Aktivitäten, den Kosten für die Umsetzung sowie dem daraus erwarteten Gewinn für die öffentliche Gesundheit und den Schutz der Umwelt Rechnung trägt. Dafür ist eine dreifache Sicherheit erforderlich, an der es heute mangelt: rechtlich, wirtschaftlich und politisch. Zunächst zum Aspekt Rechtssicherheit: es darf nicht sein, dass die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers systematisch angefochten wird oder sogar rückgängig gemacht werden kann, wenn er nicht das billigste Angebot wählt. Wirtschaftliche Sicherheit: Verfahren wie Lebenszyklusanalysen müssen dazu beitragen, das einschließlich aller Umweltaspekte wirtschaftlich günstigste Angebot zu ermitteln. In Bezug auf die umweltpolitische Sicherheit ist von den Verantwortlichen in der öffentlichen Beschaffung gegenüber den Bürgern der Nachweis zu erbringen, dass das Bestangebot den besten Dienst zum besten Preis darstellt.

 

Dem öffentlichen Beschaffungswesen kommt in Europa mit 17% des BIP erhebliche Bedeutung zu; es ist daher zugunsten von Langzeiteffekten zu nutzen. Reines "Low cost"-Denken ist der Sicherheit der Verbraucher und Bürger auf lange Sicht nicht dienlich, denn der Schutz der Gesundheit und der Umwelt hat seinen Preis. Desgleichen bringt "Low cost"-Denken zahlreiche Wirtschaftsteilnehmer in Gefahr, denn Innovation entfaltet sich vorrangig auf Märkten, die bereits sind, die damit verbundenen Risiken zu finanzieren und die Unternehmen zu vergüten, die Innovationsrisiken eingehen.

 

Langzeitfinanzierung

 

Man kann nicht von jedem verlangen, die durch die Ökowende entstehenden Vollkosten zu tragen. Angesichts der über 150 Millionen Europäer in prekärer Energieversorgungslage [9] stellt sich die Frage der Finanzierung von Leistungen der Daseinsvorsorge als wesentlicher Punkt für den sozialen Zusammenhalt. In zahlreichen Regionen der Europäischen Union sind die Bürger nicht in der Lage, die Kosten für öffentliche Umwelteistungen in voller Höhe zu tragen. In einigen mitteleuropäischen Städten haben so manche angeschlossene Haushalte aufgrund der im Verhältnis zu ihrem Einkommen zu hohen Heizkostenrechnungen auf Fernwärme verzichten und erneut individuell heizen müssen, obwohl dabei die Effizienz geringer ist und die Umwelt stärker belastet wird.

Um die europäischen Energie- und Klimaziele erreichen und allen Bürgern hochwertige Leistungen der Daseinsvorsorge bieten zu können, kommt somit - im Allgemeininteresse - der öffentlichen Finanzierung eine wichtige Rolle zu. Regierungen, die solche Investitionen fördern wollen, sollten dafür den europäischen Finanzrahmen für den Zeitraum 2014-2020 leichter nutzen können; einige Projekte würden es verdienen, dass sich für Umweltdienstleistungen Mittel aus dem Strukturfonds und aus öffentlich-privaten Partnerschaften (ÖPP) leichter miteinander kombinieren lassen.

***

 

Die Notwendigkeit, die Ökowende möglichst rasch herbeizuführen, zeigt sich an mehreren großen Umweltfragen, allen voran dem Gebot, Lösungen angesichts der Verknappung natürlicher Ressourcen zu finden, Risikostoffe zu behandeln und miteinander verflochtene städtische Dienstleistungen auszubauen, denn eine Vielzahl von Unternehmen, Haushalten und Gebietskörperschaften in Europa ist bereits mit Problemen konfrontiert.

 

Diese großen Herausforderungen mögen anfänglich als Zwang und wettbewerbsbelastende Faktoren angesehen werden, viele Unternehmen betrachten sie jedoch zunehmend als Chance, um neue Märkte zu erschließen und Wert zu schaffen. Die Gebietskörperschaften sind ihrerseits in ganz Europa bemüht, sich diesen Herausforderungen je nach Lage zu stellen und in ihrem Zuständigkeitsbereich hinsichtlich Zielvorgaben, Praxis und Preisgestaltung eine ambitionierte Umweltpolitik einzuführen.

 

Die Pflicht von Umweltdienstleistern ist es, den Wirtschaftsakteuren erstklassige, funktionierende Lösungen anzubieten, um Ressourcen zu sparen, die Umwelt zu schonen und ökologisch verantwortungsbewusst zu handeln. Dazu bedarf es technischer Innovationen und neuartiger Wirtschaftsmodelle. Die öffentliche Hand kann und muss hier fördernd tätig werden. Die Hebel, an denen sie austarierend ansetzen kann, reichen von lokaler Umweltpolitik über das öffentliche Beschaffungswesen bis zur Bereitstellung von Finanzierungen.

 

Wir stehen an einem neuen Wendepunkt der europäischen Geschichte in aufrüttelnden, jedoch spannenden Zeiten: überall auf unserem Kontinent, in unseren Staaten, Städten und Unternehmen werden im Zeichen der Nachhaltigkeit neue Wege beschritten, wenngleich wir in dieser Ökowende zugegebenermaßen erst ganz am Anfang stehen. Europaweit dürfte ihr jedoch eine schöne Zukunft beschieden sein. Es ist an uns allen, sie zu verwirklichen.


[1] Je nach Quelle wird diese Aussage der indischen Tradition, den Ureinwohnern Amerikas oder Antoine de Saint Exupéry zugeschrieben.
[2] Orbite Aluminae
[3] EREP: European Resource Efficiency Platform
[4] Rückgewinnung von flüssigem Quecksilber mit einem Reinheitsgrad von 99,9%
[5] Richtlinie 2012/27 vom 27. Oktober 2012
[6] Siehe für Frankreich den Bericht des Rechnungshofes vom 25. 7. 2013 über die Politik zur Förderung erneuerbarer Energien
[7] Rede beim Europäischen Wirtschaftskongress, Katowice (Polen), 14. 5. 2013: "Shale gas in Europe - being consistent with a low carbon economy, managing health and environmental risks"
[8] Mitteilung 2012/673 vom 14. November 2012
[9] Gemäß Definition der Internationalen Energieagentur: Personen, deren Energieausgaben 10% ihres Einkommens überschreiten (Juni 2011)

Publishing Director : Pascale Joannin

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